Bbr. Tomáš Halík: Lage der katholischen Kirche wie vor der Reformation

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BERLIN. Einheit, verstanden als organische Einheit in der Vielfalt; die Heiligkeit, im Sinne einer Weihe an Gott und Absonderung für Gott; die Apostolizität, als Treue zur apostolischen Sendung und Tradition sowie die Katholizität als Universalität, Allgemeingültigkeit, Offenheit – das fordert Bbr. Prof. Tomáš Halík in der derzeitigen Situation der katholischen Kirche. Sie ähnelt nach Ansicht des tschechischen Religionsphilosophen und Theologen stark der Situation kurz vor der Reformation.

„Die jüngst aufgedeckten Skandale des sexuellen, psychologischen und geistlichen Missbrauchs spielen heute eine ähnliche Rolle wie die Ablasshandelsskandale, die im Hochmittelalter die Reformation auslösten“, erklärte Halík am 15. November 2021 in seinem Festvortrag bei der Jubiläumsveranstaltung zum 75-jährigen Bestehen der „Herderkorrespondenz“ in Berlin.

Synodaler Weg der Reform

„Was zunächst als Randerscheinung erschien, zeigt heute - wie damals - deutlich tieferliegende Probleme, die Missstände des Systems: die Beziehungen zwischen Kirche und Macht, Klerus und Laien und viele andere“, so der katholische Priester und Theologe. Die Kirche stehe heute vor der großen Aufgabe des Auszugs „aus der heutigen in die zukünftige Form der Kirche, dem synodalen Weg“. Dieser synodale Weg sei aber „nicht nur ein Weg zur Reform, sondern ein Weg der Reform“. Dabei mahnte Bbr. Halík allerdings „die Kunst der geistigen Unterscheidung“ an. Denn es gelte an der Einheit, Heiligkeit, Apostolizität und Katholizität der Kirche festzuhalten. Die Schwächung einer dieser vier Säulen schwäche die Identität der Kirche.

Katholizität ohne Triumphalismus

Eine Gemeinschaft von Gläubigen, „die aufhört, nach Katholizität, nach universaler Offenheit zu streben“, verliere ihre „christliche Identität und Authentizität“, warnte er. Zugleich müsse sich die Kirche vor der Versuchung bewahren, „das Christentum zu ideologisieren und dadurch das Leben der Kirche zu entstellen“. Zu den Entstellungen zählte er einen „Triumphalismus“ und einen daraus erwachsenden „Klerikalismus“. Dabei würden diejenigen, „die zum demütigen Dienst an der Allgemeinheit bestimmt waren“, zu einer „herrschenden Klasse“, einer „heiligen Regierung“, die das Monopol auf die Wahrheit beanspruche. Dem sei ein Selbstverständnis der Kirche entgegenzusetzen, das sich an der Selbsthingabe orientiere, so Bbr. Halík.

„Der synodale Weg muss ein Weg der heilenden Demut sein“, erklärte der Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, Rektor der Universitätskirche St. Salvator und Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie, der u.a. 2010 mit dem Romano Guardini-Preis und 2014 mit dem Templeton-Preis ausgezeichnet wurde.

Bild oben: Screenshot aus dem Video von der Festveranstaltung, Link: Herder-Korrespondenz