Euregio-Bischöfe fordern Bekenntnis zu „Projekt Europa“

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SCY-CHAZELLES. „Frischer Wind für Europa“, so lautet der Titel des Briefs, den acht Bischöfe aus Luxemburg, Belgien, Frankreich und Deutschland am Montag, 8. April 2024, in Scy-Chazelles, dem Wohn- und Begräbnisort des französischen Staatsmanns und unitarischen Bundesbruders Robert Schuman (1886-1963), unterzeichnet haben. „Das Europa, für das wir zur Wahl aufgerufen sind, muss ein Raum der Zukunft, der Partnerschaft und der internationalen Verantwortung sein“, so die Kirchenführer, die sich im Vorfeld der Europawahlen am 9. Juni für ein freiheitliches und friedliches Europa einsetzen.

Am Dienstag, 9. April 2024, veröffentlichten sie ihren gemeinsamen Hirtenbrief, in dem sie zu einem Bekenntnis zum „Projekt Europa“ aufrufen: „Mit diesem Brief möchten wir dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen trotz der aktuellen Bedingungen wieder Lust auf das Abenteuer Europa bekommen“ (33).

Neuer Schwung für Europa

„Als Bischöfe verschiedener Grenzdiözesen in Westeuropa und Mitglieder einer Gruppe, die wir „Euregio“ getauft haben, sind wir uns bewusst, welche Bedeutung die am 9. Juni 2024 stattfindenden Wahlen für die Zukunft der Europäischen Union haben“, so die Bischöfe in ihrem Schreiben: „Aus diesem Grund möchten wir uns an Sie, unsere europäischen Brüder und Schwestern, wenden, um unsere Überzeugungen und Sorgen mit Ihnen zu teilen. Ausgehend von der europäischen Geschichte, ihrer Stärken und Krisen, werden wir grundlegende Werte Europas herausarbeiten und ein Projekt Europa formulieren, das entwickelt werden muss, um Europa neuen Schwung zu verleihen. Dann werden wir sehen, welche Mittel wir dazu einsetzen müssen und wie wir sie bei den nächsten Wahlen anwenden können.“

Viele Aspekte für eine neue Dynamik

16 erfrischend aufbereitete Textseiten gliedert sich in sieben Kapitel: I. Die europäische Geschichte: Vielfalt und Einheit, II. Krise des europäischen Bewusstseins, III. Europäische Werte, IV. Ein Traum für Europa, V. Die Mittel für unsere Verpflichtungen, VI. Die Europawahlen und ihre Herausforderungen, Schlussfolgerung: Neue Herausforderungen, frischer Wind.

In 42 Einzelabschnitten entfaltet werden die Themen „Eine Vielfalt von Völkern“, „Eine europäische Kultur“, „Die Schaffung von Frieden“, „Die Errungenschaften des europäischen Einigungswerks“, „Nationalistische Krisen“, „Geopolitische Krise“, „Wirtschaftskrise“, Migrationskrise“, Krise des europäischen Bewusstseins“, „Die Bedeutung jeder Person“, „Die Vielfalt der Nationen“, „Die Sehnsucht nach Frieden“, „Gerechtigkeit und Solidarität, „Humanisierung der Gesellschaft“, „Gemeinwohl“, „Geschwisterlichkeit“, „Frieden“, „Globale Solidarität“, „Zivilgesellschaft“, „Soziales Leben“, „Das christliche Erbe“, „Kreativität“, „Politischer Dialog“, „Vielfalt der Völker“, „Integrale Ökologie“, „Eine integrative Stadt“, „Probleme, denen man sich stellen muss“, „Die Öffnung für den Fremden“, „Die Sorge um junge und ältere Menschen“, „Wirtschaftliche Herausforderungen“, „Solidarität“, „Die Wahl des Evangeliums“, „Sich für Einheit in Vielfalt entscheiden“, „Wählen im Blick auf den Menschen, in solidarischem Bewusstsein“.

Plädoyer für das Gemeinwohl

Sie nennen damit alle entscheidenden Herausforderungen, warnen aber auch vor wachsendem Populismus und Egoismen. Denn vielerorts sei das Gemeinwohl nicht mehr das primär verfolgte Ziel: „An seine Stelle treten Forderungen, und das ist ein fruchtbarer Boden für identitäre Rückzugsbewegungen, die Brücken abreißen und Mauern errichten.“ Die Herausforderung für die europäischen Demokratien besteht darin, wieder einen politischen Dialog herzustellen: „Krieg, Gewalt und Terrorismus erschüttern das Gleichgewicht auf unserem Kontinent. Daher gilt es, eine Gemeinschaft von Männern und Frauen zu fördern, die wieder in den Dialog eintreten und die Aufgabe der weltweiten Solidarität mit den leidenden Völkern übernehmen.“

Das Erbe von Bbr. Robert Schuman

Ausdrücklich beziehen sich die Euregio-Bischöfe in ihrem Text auf das Vermächtnis der ersten Generation nach dem II. Weltkrieg, kennzeichnen dabei Robert Schuman als „ehrwürdigen Diener Gottes“ und erinnern an den „historischen Impuls seiner Erklärung vom 9. Mai 1950, aus der sie ebenso zitieren wie aus seiner Schrift „La mission de l’Europe“ (in: Pax Romana, 1951). Ihre Schlussfolgerung: „Während heute der Krieg im Osten Europas und in vielen Teilen der Welt tobt, während der zivile Frieden in unseren Gesellschaften bedroht und untergraben wird, gewinnen die Worte Robert Schumans wieder an Aktualität. Sie waren etwas in Vergessenheit geraten.“ Europa sei „kein Selbstzweck, der die Größe seines Wohlfühlbereichs und seinen Willen zur Einheit definiert“, erklären sie: „Wir plädieren für eine andere Philosophie: ein Europa als offene Gemeinschaft im Dienste eines großen Projekts der Einheit und des Friedens. Wie Robert Schuman ahnte, „nimmt Europa die universelle Solidarität der Zukunft vorweg“.“

Stärkung des kontinentalen „Friedensprojekts“

Dazu plädieren sie für die deutliche Stärkung des kontinentalen „Friedensprojekts“: „Europa muss sich also von der Begeisterung und dem Wunsch, sich eine Zukunft zu schaffen, anstecken lassen“, so die Bischöfe und nehmen sich selbst in die Pflicht: „Als Kirche müssen wir zu einer Wiedergeburt Europas beitragen, das nach unserer Überzeugung nach wie vor über ein großes Potenzial verfügt, um neue Wege der Humanisierung zu eröffnen“. (19) Hier fordern sie: „Es ist die Aufgabe des heutigen Europas, die Funktionsweise seiner eigenen Institutionen selbstkritisch zu hinterfragen und sich bewusst zu machen, dass es dazu berufen ist, in eine umfassendere oder sogar globale Mission der Solidarität zu investieren.“

Das Europa von heute habe keine Überlegenheit, die es durchzusetzen gelte, stehe darüber hinaus Mächten wie den USA, Russland und China gegenüber: „Angesichts dieser Politik wird sich Europa nur behaupten können, wenn es „etwas anderes“ ist. Es wird sich dadurch auszeichnen, dass es ein neues Friedensprojekt entwickelt, indem es im Dialog mit seinen Ressourcen und kulturellen Traditionen neue Unternehmungen schafft, in denen der Sinn für die menschliche Gemeinschaft über die Aneignung von Reichtümern siegt. Motiviert durch einen tiefen Sinn für Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit muss Europa den Menschen anderer Kontinente helfen, ihre eigenen Reichtümer zu fördern, anstatt sie auf maroden Booten in die Flucht über das Mittelmeer zu treiben.“ (23)

Im Geist des Evangeliums

Nachdrücklich erinnern sie an „ein immenses, vom Christentum geprägtes Erbe“ und mahnen eine neue Dynamik für den „europäischen Humanismus“ an: „Kreativität, Spiritualität, Geschwisterlichkeit und - für uns Christen - der Geist des Evangeliums verleihen unserem Europa den frischen Wind, den es braucht“, so die Bischöfe. „Mögen wir uns, wenn wir unsere Stimmzettel in die Wahlurne werfen, bewusst sein, dass wir für ein Projekt der Hoffnung stimmen“, heißt es am Ende des 16-seitigen Schreibens.

Unterzeichner sind der Erzbischof von Luxemburg, Kardinal Jean-Claude Hollerich, der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, sowie die Bischöfe Philippe Ballot (Metz), Jean-Pierre Delville (Lüttich), Jean-Paul Gusching (Verdun), Pierre-Yves Michel (Nancy und Toul), Marc Stenger (Troyes, emeritiert) und Pierre Warin (Namur). Die (Erz-)Bischöfe bilden mit acht Diözesen entlang der Grenzen von Luxemburg, Belgien, Frankreich und Deutschland den kirchlichen Verbund Euregio.

Zum Download im Internet: HIRTENBRIEF DER BISCHÖFE DER EUREGIO ZUR EUROPAWAHL AM 9. JUNI 2024