Kirche zwischen Anspruch, Recht und Wirklichkeit

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ESSEN. Kirche, Staat, Gesellschaft und Öffentlichkeit – was wen und wie verbindet, welche Eigenständigkeiten und wechselseitigen Verhältnisse in Deutschland und anderen europäischen Ländern gelten, das beschrieb am Dienstagabend Domkapitular Dr. Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros NRW, beim Jahrestreffen des Katholischen Akademikerverbands Ruhr (KAR). Auftakt für den diesjährigen Albertus Magnus-Tag der Verbände CV, KV und UV im Franz Sales-Haus war die Messe, die rund 60 Besucher und unter ihnen erfreulich viele Angehörige der Unitas am 15. November 2022 in der Kirche an der Steeler Straße mitfeierten. Die musikalische Gestaltung hatten Sebastian Küchler-Blessing, Domorganist am Hohen Dom zu Essen, und der vielfach international ausgezeichnete Soloviolinist Alexander Won-Ho Kim übernommen.

Albertus Magnus: Die Wahrheit suchen

Bbr. Pater Otto Nosbisch SDB, Direktor des St. Johannes-Stifts, nahm in seiner Predigt die geniale Universalität des Tagesheiligen in den Blick, der die Theologie und die modernen Naturwissenschaften als erster verband. „Gescheit und fromm sein“, so Albertus Magnus, seien keine Widersprüche - ganz im Gegenteil. Immer habe er selbst mit den Mitteln der Vernunft die Erkenntnis Gottes gesucht und dazu ermuntert, die Wahrheit zu finden. Auch heute gelte dieses Vorbild unverändert, erklärte Salesianerpater Nosbisch, zumal für Menschen, die sich der Wissenschaft verschrieben hätten.

„Immer stärker begründungspflichtig"

Was Christenmenschen derzeit umtreibt, zeigte die Debatte zur herausragenden Rede des Leiters des Katholischen Büros. Sehr strukturiert und anschaulich führte er in die Beziehungswelten zwischen den katholischen (Erz-)Bistümern in Nordrhein-Westfalen und der Landesregierung, den Ministerien und vielfältigen Gremien ein. Der Jurist und Theologe schlug in seinem Vortrag den großen Bogen von den theologischen Grundlagen über die historischen und kulturellen Entwicklungen bis zu den gewachsenen geltenden rechtlichen Voraussetzungen: Anders als in anderen Ländern zeugten - bei aller grundgesetzlich vorgesehenen Autonomie der beiden Bereiche - zahlreiche sehr viele praktische Berührungsflächen vom kooperativen und guten Miteinander von Staat und Kirchen, vom Denkmalschutz bis zu Hochschule, Bildung und allen kirchlichen Diensten der Daseinsfürsorge.

Allerdings gebe es immer wieder auch Konfliktpunkte, so Dr. Hamers. Die jüngste Entfernung des historischen Kreuzes vor der G7-Außenminister-Tagung im Friedenssaal zu Münster – nur eines der Beispiele - sei zwar auf vielfachen Protest gestoßen. Grundsätzlich allerdings müsse das Engagement der Kirche in vielen Bereichen heute zunehmend sehr viel stärker begründet werden, so Hamers, und erinnerte an das Wort der französischen Bischöfe, das 1996 unter dem Titel „Proposer la foi“ eine wesentliche Haltung für Selbstverständnis und Auftrag der Kirche formulierte.

Einsatz für die Menschen nicht aufgeben

Bei allen kirchlichen Appellen an die Politik gelte es, vor allem die großen Themen wie Gerechtigkeit, Lebensschutz, Bewahrung der Schöpfung und Lebensgrundlagen, Friede oder Solidarität nicht aus den Augen zu verlieren, wie sie aus dem Glauben und der kirchlichen Soziallehre begründet seien. Die Kirche selbst könne ihren in vielen Bereichen und eigenen Einrichtungen sehr konkret geleisteten Einsatz für die Menschen zugleich nicht aufgeben: Dabei seien Schulen, Kindergärten, Dienste für Alte, Kranke, Behinderte und viele weitere gesellschaftliche Gruppen vor allem als Orte der Seelsorge zu sehen, beschrieb Dr. Hamers das Spezifikum des kirchlichen Handelns.

Neues Bewusstsein gewinnen

In der von Bbr. StD Dr. Nikolaus Mantel, Vorsitzender des Unitas-Zirkels Essen, geleiteten Diskussion griff das Plenum zahlreiche Aspekte des Vortrags von Dr. Hamers auf. Mit Blick auf den zunehmenden Bedeutungsverlust in der Öffentlichkeit, auf die durch viele frustrierende Entwicklungen schwindende Relevanz und Glaubwürdigkeit von Kirche und Glaube, sei jetzt das persönliche Beispiel umso wichtiger, so ein zentrales Statement. „Mehr Qualität statt Quantität“ - mit einem klaren Blick auf die Wirklichkeit der beginnenden Diaspora und die Weite der Weltkirche: Offensichtlich sind ein Bewusstsein dafür, aber auch ein neues Selbstbewusstsein, in der Breite erst noch wirklich zu gewinnen.

28.10.2022: Dr. Antonius Hamers spricht beim Albertus Magnus-Tag 2022
15.11.2022:
„Findet die Wahrheit“: Albertus Magnus

Für Genießer: Soloviolinist Alexander Won-Ho Kim interpretierte auf seinem über 250 Jahre alten Instrument Werke von J.S. Bach und Eugene Ysaye