„Mehr als ein Symbol“: Wissenschaftliche Sitzung zum „Vertrag von Aachen“

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ESSEN. Entsteht ein neuer „Superstaat“ in Europa? Ist es im Grunde ein „Geheimvertrag über den faktischen Zusammenschluss Frankreichs und Deutschlands“, mit dem ein „Frankodeutschland“ Europa beherrschen will? Geht es um den „Ausverkauf der Interessen Frankreichs“? Einige heftige Kritik wurde laut, als zu Jahresbeginn 2019 fast beiläufig in Aachen ein bilaterales Abkommen unterzeichnet wurde, das die Vertragsstaaten Deutschland und Frankreich zu einer noch engeren Zusammenarbeit verpflichtet. Nun standen Hintergründe, Inhalt und Perspektiven der deutsch-französischen Vereinbarung am Mittwoch, 10. Juli, im Mittelpunkt einer Wissenschaftlichen Sitzung bei der Unitas Ruhrania. „Der Aachener Vertrag – Ein neuer Meilenstein oder lediglich Symbol?“ lautet der Titel des Vortrags von stud. oec. Thibaut Feike.

Ort und Datum mit Symbolkraft

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron setzten am 22. Januar 2019 ihre Unterschriften im Krönungssaal des Rathauses der Karlsstadt Aachen unter das Vertragswerk – nicht nur an einem Ort mit hoher Symbolkraft: Auch der Termin am Jahrestag des Élysée-Vertrags von 1963 und dem jährlichen Deutsch-Französischen Tag war eigens gewählt. Er traf sich mit dem Datum, an dem genau 100 Jahre zuvor, am 18. Januar 1919, dem Jahrestag der deutschen Reichsgründung zu Versailles von 1871, die Verhandlungen begannen, die in den demütigenden Versailler Friedensvertrag mündeten. Dennoch verschwand der „Vertrag von Aachen“ (frz. Traité d’Aix-la-Chapelle) gleich nach der Ratifizierung bereits wieder aus der öffentlichen Diskussion – trotz seiner weitreichenden Bestimmungen, die das Verhältnis der beiden EU-Staaten in Zukunft nachhaltig beeinflussen.

Update der deutsch-französischen Beziehungen

Bbr. Thibaut Feike, Senior im laufenden Semester und selbst bilingual aufgewachsen, stellte die in sechs Artikeln formulierten 28 Artikel des Vertrages vor, der als Fortsetzung des am 22. Januar 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle in Paris geschlossenen Élysée- Vertrages von 1963 eine nachhaltige Konkretisierung der geltenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen anstrebt. Setzte der nach den Erfahrungen des Krieges damals geschlossene Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag vor allem noch auf eine vorsichtige Annäherung der ehemaligen Gegner, zielt das vor allem durch Präsident Macron vorangetriebene „Update“ auf verbindliche Kooperation beider Staaten in mehreren Handlungsfeldern und soll die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Kultur und Technologie vertiefen. Dies zeigen bereits die Kapitelüberschriften: 1. Europäische Angelegenheiten, 2. Frieden, Sicherheit und Entwicklung, 3. Kultur, Bildung, Forschung und Mobilität, 4. Regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, 5. Nachhaltige Entwicklung, Klima, Umwelt und wirtschaftliche Angelegenheiten, 6. Organisation.

„Schon der Élysée-Vertrag war eine große historische Leistung“, stellte Thibaut Feike klar. Annäherung, Versöhnung und praktische Kooperation gehörten zusammen, um das Miteinander und die Begegnung zu fördern. Darüber hinaus sieht der Aachener Vertrag nun eine verstärkte Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik, dem Wirtschaftsrecht, der Außen- und Sicherheitspolitik vor, zudem in den Bereichen Klima, Umwelt, Gesundheit und Nachhaltigkeit, um Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit beider Volkswirtschaften zu verbessern.

Das Miteinander stärken

Auch ist die Stärkung von Begegnungen der Zivilgesellschaft vorgesehen: So soll ein gemeinsamer Bürgerfonds Bürgerinitiativen und Städtepartnerschaften fördern. In den Bereichen Bildung und Forschung stehen neben der Förderung des gegenseitigen Spracherwerbs auch die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen im Mittelpunkt, auch sollen in sogenannten Eurodistrikten für die Verbesserung des täglichen Lebens im Grenzbereich von Frankreich grenzüberschreitende Projekte ermöglicht werden: So erhalten lokale Akteure in den Grenzregionen die Möglichkeit, etwa Kindertagesstätten, Bildungseinrichtungen, Notfall- und Gesundheitsversorgung oder Gewerbezonen einzurichten. Wichtige weitere Punkte seien die Schaffung einer deutsch-französischen digitalen Plattform für audiovisuelle Inhalte und Informationsangebote sowie die Verbesserung grenzüberschreitender Bahnverbindungen, um den Verkehr zwischen den Staaten zu verbessern.

Festgeschrieben werde eine enge Koordination der Außenpolitik, erläuterte der Referent: Vor EU-Gipfeltreffen, Abstimmungen in den Vereinten Nationen und anderen multilateralen Organisationen sollen Konsultationen Beschlüsse im gemeinsamen Interesse fördern, Frankreich wolle den deutschen Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstützen. Vereinbart seien zudem eine stärkere militärische Zusammenarbeit, gegenseitige Hilfe in Krisenlagen, eine gemeinsame Ausgestaltung der Europäischen Verteidigungsunion, von Friedens- und Polizeieinsätzen sowie eine enge Partnerschaft mit Afrika. -> Der Vertrag im Wortlaut

Vertrag von Aachen: mehr als ein Symbol

„In vieler Hinsicht ist der Vertrag von Aachen weit mehr als ein Symbol“, so der Referent. Angesichts der umfassenden Bestimmungen könne man durchaus von einem Meilenstein sprechen, erklärte Thibaut Feike. Um einen solchen Vertrag mit Leben zu füllen, bedürfe es aber mehr als der vereinbarten und engen Abstimmung von politischen und Verwaltungsebenen. „Hier sind alle Bürger und Bürgerinnen beider Staaten gefragt.“ Vor allem zur Frage des gemeinsamen Engagements mit und für den afrikanischen Kontinent nahm die anschließende Debatte Fahrt auf. Hier stellten sich Fragen nach Natur und Ziel dieser Kooperation, die bereits in der „Historischen Erklärung“ des französischen Außenministers Bbr. Robert Schuman (1886–1963) am 9. Mai 1950 eine wesentliche Rolle spielte. Auch innereuropäische Reaktionen, historisch bedingten Dispositionen und Reflexe in der Europäischen Union – vor allem im Blick auf die osteuropäischen Länder - sowie Fragen nach einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ bestimmten die abschließende Diskussion.

Perspektiven für das kommende WS 2019/20

Der zuvor tagende Dechargierungs- und Abschlussconvent stellte dem scheidenden Chargenteam ein gutes Zeugnis aus. Er unterstrich nach den Semesterberichten erneut die Verbindlichkeit von Veranstaltungen und dechargierte das Team des Sommersemesters „mit Dank und Anerkennung“. Mit einstimmigem Ergebnis wurden die Neuwahlen für das kommende WS 2019/20 vorgenommen:

Das Seniorat und das Amt des Quastors übernimmt Bbr. stud. med. Andreas Krüger, Consenioren sind die Bundesbrüder Thibaut Feike und Donald Menyeng Ndem, Fuxmajor ist Bbr. Wassim Hajji, den Scriptor macht ebenfalls der scheidende Senior Bbr. Thibaut Feike. Der Planungsconvent für das kommende Semster wird für das letzte Augustwochenende angesetzt: Am 24. August steigt abends die traditionelle Altfridkneipe zu Ehren des Gründers von Stift und Stadt Essen, am Sonntag, 25. August, wird nach der offiziellen Semesterabschlussmesse im Dom zu Essen der Planungsconvent tagen.