Neuer Film über Bbr. Franz Hitze

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ESSEN / OLPE. Am 16. März 2021 jährte sich zum 170. Mal sein Geburtstag, am 20. Juli zum 100. Mal sein Todestag: Bbr. Franz Hitze gilt als einer der einflussreichsten Sozialpolitiker des Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik. Heute, Dienstag, 28. September, gibt es in Olpe eine Weltpremiere. „Franz Hitze – Ein Sozialreformer aus Westfalen“ heißt der Film, der im CINEPLEX Olpe erstmals gezeigt wird. Aus Anlass seines 100. Todestages ist damit im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der Landeszentrale für politische Bildung NRW und der Stadt Olpe ein dokumentarisches Filmporträt entstanden, das Leben und Wirken des Sozialreformers beleuchtet.

„Bedeutender Westfale“

Der Film erinnere an einen „bedeutenden Westfalen, der durch seine Herkunft aus dem Sauerland, seine soziale und pastorale Arbeit im niederrheinischen Textilrevier und seine wissenschaftliche Tätigkeit in der damaligen westfälischen Provinzialhauptstadt Münster unterschiedliche Landesteile Nordrhein-Westfalens in seiner Person verbindet“ – so die Ankündigung. In sechs Kapiteln vermittelt der von der Berliner „Bildungsfilm GbR“ produzierte Film Leben, Werk und bleibende Bedeutung Franz Hitzes. Durch Drehs an Originalschauplätzen, einem Schauspieler, der in die Rolle des älteren Franz Hitze schlüpft, und auch einigen Graphic-Novel-Szenen, die historische Situation visualisieren, wird die Persönlichkeit des Priesters und Politikers lebendig. Eine Reihe von Fachleuten äußert sich zum historischen Hintergrund und zur heutigen Aktualität seines Wirkens. Zur Filmpremiere heißt es: „Der Film richtet sich an alle, die sich für die deutsche und speziell rheinisch-westfälische Gesellschaftsgeschichte des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts interessieren. Schulen und außerschulischen Bildungsträgern nicht nur in Nordrhein-Westfalen möchte er einen Impuls liefern, sich mit der sozialen Frage und den Bemühungen zu ihrer Lösung zu beschäftigen und davon ausgehend nach der Bedeutung eines funktionierenden Sozialsystems für unsere Gesellschaft zu fragen."

Die DVD kann für 14,90 Euro im Buchhandel und beim LWL-Medienzentrum, Fürstenbergstraße 13-15, 48147 Münster, E-Mail: medienzentrum@lwl.org erworben werden. Nähere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden sich unter http://www.westfalen-medien.lwl.org. Unter dieser Adresse soll der Film in Kürze auch zum Download bereitstehen.

Studium der sozialen Frage

Franz Hitze, geboren am 16.3.1851 in Hanemicke, heute Teil von Olpe, nimmt in der mehr als 150-jährigen Tradition des sozialen Katholizismus in Deutschland einen herausragenden Platz ein. Früh war er mit dem Elend der Arbeiterschaft in Berührung gekommen, machte sein Abitur in Paderborn und plädierte schon während seines Studiums der Theologie in Würzburg (1872-1877) vor seinen Mitstudenten im katholischen Studentenverein Unitas für eine grundlegende Sozialreform. Aus seinen Vorträgen bei den Unitas-typischen Wissenschaftlichen Sitzungen entstanden die Schriften Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung mit besonderer Berücksichtigung der verschiedenen sozialen Parteien in Deutschland“ (1877), Quintessenz der sozialen Frage (1880) und Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft (1880). Nach der Priesterweihe 1878 in Würzburg ging er für knapp zwei Jahre nach Rom und übernahm 1880 das Amt des Generalsekretärs des Verbandes Arbeiterwohl in Mönchengladbach, einem Zusammenschluss von katholischen Fabrikanten, Intellektuellen und Geistlichen.

In der praktischen Politik

Mit 32 Jahren ging der junge Priester in die Politik und blieb ihr fast vier Jahrzehnte verbunden: Von 1882-93 und 1898-1912 gehörte Hitze als Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Mönchengladbach dem Preußischen Abgeordnetenhaus an. 1884-1921 wurde er im Wahlkreis Geilenkirchen-Erkelenz (Reg.-Bezirk Aachen) als Abgeordneter für die Zentrumspartei in den Reichstag gewählt. Dort von Bismarck als „agitierender Kaplan“ bezeichnet, war er maßgeblich an den Grundlagen des heutigen Sozialversicherungssystems im Deutschen Kaiserreich und an dessen praktischer Umsetzung in der Weimarer Republik beteiligt.

1890 rief er in Mönchengladbach mit Franz Brandts und Zentrums-Führer Ludwig Windthorst gegründete Volksverein für das Katholische Deutschland ins Leben. Er wurde bis zum Ersten Weltkrieg die größte katholische Massenorganisation und erzielte durch staats-, wirtschafts-, sozial-, kultur- und gesellschaftspolitische Bildungsarbeit eine große Breitenwirkung – auch gegen staatliche und innerkirchliche Widerstände: Der Verein entfaltete eine breite publizistische Tätigkeit und setzte sich durch millionenfach verbreitete Flugblätter, Zeitschriften und Bücher für die christlich-sozialen Ideen ein. Schulungen, Kurse und Lehrgänge wurden insbesondere von den katholischen Arbeiter-Organisationen wahrgenommen und trugen dem Verein den Namen „Mönchengladbacher Galopp-Universität“ ein. Zahlreiche Vertreter der katholischen Verbände bildeten ein großes Netzwerk und stiegen bis in hohe politische Funktionen auf. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte der Volksverein über 800.000 Mitglieder. 1933 wurde er wie seine über 6.000 Ortsgruppen in Deutschland von den Nationalsozialisten verboten und zerschlagen.

Lehre und Organisation

Ab 1893 hatte Hitze in Münster die erste Professur für christliche Gesellschaftslehre weltweit inne. Im Mittelpunkt seiner Schriften stand dabei nicht so sehr die theoretische Erörterung im Vordergrund, vielmehr die praktische Sozialpolitik, Bildungsarbeit, Arbeitsschutz und wirtschaftliche Selbsthilfe. Auf den deutschen Katholikentagen plädierte er für ein offensives Eintreten der Kirche in der sozialen Frage und für die Gründung katholischer Arbeitervereine, er gilt als Mitbegründer der Katholischen Arbeiterbewegung und Christlicher Gewerkschaften. Zudem unterstützte er die Gründung des Deutschen Caritas-Verbandes, der zur Koordination und Zusammenfassung der sozialcaritativen Arbeit der Kirche in Deutschland 1897 in Köln ins Leben gerufen wurde.

Ämter und Aufgaben

1919 wurde Franz Hitze in die Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung in Weimar gewählt und war dort maßgeblich an der Ausarbeitung der sozial- und schulpolitischen Artikel in der Weimarer Verfassung beteiligt. Das Handbuch der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Weimar 1919 ; biographische Notizen und Bilder, Berlin, 1919) listete seine vielseitigen Tätigkeiten auf, die ein Licht auf seine weitgespannten Verpflichtungen in diesen Jahren werfen:

„Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, der Gesellschaft für Sozial-Reform des Westfälischen Kleinwohnungsvereins, des Volksvereins für das katholische Deutschland; Mitglied im Präsidium der Zentralstelle zur Bekämpfung der Tuberkulose, Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrtspflege, des katholischen Verbandes „Arbeiterwohl“ für soziale Kultur und Wohlfahrtspflege, des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft; Ausschussmitglied des Vereins für Sozialpolitik, des deutschen Wohnungsvereins, des Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke, des katholischen Charitas-Verbandes; Ehrenpräses der kath. Gesellenvereine, Ehrenvorsitzender des Verbandes kath. Arbeitervereine, Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken Deutschlands; Ehrenvorsitzender der deutschen Zentrumspartei usw. Von 1882-1912 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, seit 1884 Mitglied des Deutschen Reichstags und dann Mitglied der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung. War „Sachverständiger“ bei den Staatsratsberatungen (betreffend Februarerlasse 1890) und Berichterstatter der Reichstagskommission über die Arbeiterschutznovelle von 1891.“

Von 1920 gehörte er erneut dem Reichstag an, verhalf mit seiner Fraktion unter anderem dem Betriebsrätegesetz zur parlamentarischen Mehrheit und wurde Ehrenvorsitzender der Zentrumspartei – sie würdigte damit seine in Jahrzehnten gewachsene Rolle in der Partei, so Bbr. Professor Dr. Joseph Mausbach: „Lange Jahre hindurch war er ein anerkannter Führer der Zentrumspartei, ohne doch je den Posten eines Ersten oder Zweiten Vorsitzenden eingenommen zu haben. So war überall seine Persönlichkeit die Hauptsache, das Bestimmende, lebendig Wirkende; der Stand und Name war Nebensache.“ (Hitze - von Gott berufen, in: unitas 7/1956) Am 20. Juli 1921 starb der viele Jahre lang herzkranke Franz Hitze im 70. Lebensjahr während eines Kuraufenthaltes in Bad Nauheim und wurde in Rhode bei Olpe begraben.

Artikel:
09. August 2021: Der Student Franz Hitze in Würzburg
07. Februar 2021: 2021: Franz-Hitze-Gedächtnisjahr
20.Juli 2021: Katholiken einen Weg gewiesen