Rot-Weisser Riese im Conventsaal

 · 

ESSEN. Da mussten am gestrigen Abend viele ganz stark sein: Oberhausener Kleeblätter, Kölner Geißböcke, Fortuna-Fans aus der Landeshauptstadt oder die Anhänger von einem Verein nördlich des Rhein-Herne-Kanals, dessen Name nicht genannt werden durfte. Rot-Weiss Essen war am Dienstag, 13. Dezember, das Thema bei der Wissenschaftlichen Sitzung mit RWE-Vereinshistoriker StD Georg Schrepper. „Das ist kein Verein, sondern einfach eine lebende Legende“, hieß es in der Einladung. „Ganz zu Recht und ein schlafender Riese ist RWE eben auch“, so der Experte in seinem mit stupenden Detailkenntnissen gespickten Vortrag. Und die Ruhranen freuten sich mit Bundesbrüdern aus den Nachbarstädten und zahlreichen Freunden aus dem Cartellverband über einen äußerst gelungenen gemeinsamen Abend auf dem Essener Unitas-Haus.

Ein sattes Jahrhundert praller Zeitgeschichte

Statt trockener Daten aus der seit 1907 in Vogelheim begonnen Vereinshistorie gab es einen illustrierten und lebendigen Ritt durch ein sattes Jahrhundert praller Zeitgeschichte: Von kleinsten Anfängen zwischen den Zechen Emil-Emscher und Carolus Magnus in der der noch selbständigen größten preußischen Industriegemeinde Borbeck, über Fusionen im Clinch von Turnverbänden und Fußballfans ging es um Arbeiterkultur und umtriebiges Management, politische Umbrüche und Zusammenbrüche – wie ein Phoenix aus der Asche kickten sich die Jungs von der Hafenstraße durch die Turniere mit den größten Mannschaften der Welt, holten ihre Meistertitel, schossen Deutschland 1954 an die Weltspitze und strotzen vor Selbstbewusstsein.

Die Treue der Massen, die noch im besten Anzug auf die Ränge stiegen, war ihnen dabei gewiss: Lebende Legenden und Originale kämpften und schwitzten sich zwischen Kohle und Stahl zu bescheidenem Glück, recht gutem Auskommen und Ansehen hoch - bis eigene Misswirtschaft, verpasste Chancen und Möglichkeiten den sattgewordenen „Schreck vom Niederrhein“ ab den 1960er Jahren aus der Erfolgskurve trugen. Parallel zum Abschwung im alten Revier wurden die durch Manager Georg Melches verwöhnten und an die Spitze getriebenen Aschenplatz-Malocher plötzlich durchgereicht in die unteren Ligen. Und es ging nun ständig auf und ab – aber die Treue zum Verein blieb. Der Mythos überlebte und produzierte stattdessen ganz andere Rekorde als erwartet: Rot-Weiss hat die meisten Fans im Stadion, übertrifft darin sogar Bundesliga-Clubs, befindet sich seit Jahren im Aufwind – ein „schlafender Riese“ eben, wie Georg Schrepper betonte. Keine Frage: Deutlich professionalisiert, besser aufgestellt in Marketing und Stadionfrage soll es nun wieder neu und weiter nach oben gehen.

Lebendige Debatte zur Fußball-Kultur im Revier und überall

Und er stellte sich vor freudig strahlenden RWE-Fans und trotz allem staunenden Zweiflern einer anschließenden Debatte, die kaum einen Aspekt zum Fußball ausließ: Dem Sport in pädagogischer, wirtschaftlicher und identitätsstiftender Hinsicht, in seiner integrativen Bedeutung in allen gesellschaftlichen Umbrüchen, zu den fragwürdigen Aspekten von großen Turnieren wie in Katar, den Verlockungen des großen Gelds, den Schattenseiten der Fankultur und schließlich zur Frage nach dem Mythos, der allen Ruhr-Vereinen in besonderer Weise eigen ist. Ganz sicher eben besonders den Rot-Weissen von der Hafenstraße mit all ihren Stauder-Freunden, die diesen Mythos so lebendig halten. Die außergewöhnliche Expertise des Referenten und die kurzweilige Diskussion zeigten: Eine traditionelle Wissenschaftliche Sitzung, die sich dem wirklichen Leben „aufm Platz“ stellt, ist machbar, äußerst lehrreich und ein Gewinn. Dass die Schalker diesmal in der Unterzahl waren – der Name muss jetzt doch genannt werden – war dabei diesmal wirklich Nebensache. Vielen Dank für einen erfrischenden Abend!

Nächster Termin im Semesterprogramm:

Mit der traditionellen „Feuerzangen-Bowle“ geht es am Mittwoch, 21. Dezember 2022, im Unitas-Haus „Feldschlösschen“ auf die Schlussgerade Richtung Weihnachten. Selbstverständlich mit Film und Heißgetränk. Senior Niklas Stöckl freut sich auf rege Teilnahme ab 20 Uhr. Getreu dem natürlich ganz brav gemeinten Motto: „Ist das hier richtig?“- „Bei uns ist immer richtig!“