ESSEN. Böller, Masken, Grusellärm und Untote – was den Vorabend vom Festtag Allerheiligen angeht, darf man sicher sagen: Hier geht nun alles durcheinander. Der „All-Hallows-Evening“ scheint mit dem offensichtlich angesagten Halloween-Spuk vollends zum sinnfreien kommerziellen Spektakel zu degenerieren. Dass inzwischen wahrhafte Geistermärsche und Zombiewalks das fast harmlose Trick-or-Treat-Klingelmännchen längst abgelöst zu haben scheinen, wirft ein Licht auf ein hochkomplexes kulturelles Phänomen, das sicher die ganze Menschheitsgeschichte begleitet.
Damit hat es eine lange Entwicklung hinter sich, die sicher nicht erst mit dem irischen Totenfest frommer Mönche begann: Sie suchten mit der Aufforderung zum liebevollen solidarischen Gebet für die Toten, zu Fasten, Almosen und guten Taten den animistischen Volksglauben vom wilden Tod, von unerlösten Seelen und umherziehenden ruhelosen gefährlichen Geistern, Aufhockern, Nachzehrern und anderen dämonischen Kräften in christliche Bahnen zu lenken.
Christliche Perspektive: Heiligkeit
Dass der Mensch ein Wesen aus Körper und Geist, Leib und Seele ist, findet sich in frühesten Zeugnissen. Denn alle Religionen suchen seit Beginn an der Frage auf den Grund zu kommen, was Leben und Tod für beide bedeutet. Der Vorstellung, dass beide unvollkommen und erlösungsbedüftig sind, setzt die christliche Auferstehungshoffnung hier eine klare Perspektive entgegen – zumal sie von der unsterblichen Seele spricht: Wer in seinem Leben dem Beispiel des Todesüberwinders Jesus Christus folgt, wird ihm gleich, wird auferstehen und mit ihm sein ewiges Leben teilen. Damit ist dem Tod aller Schrecken genommen, die Angst vor den Toten und dem Tod selbst sind völlig sinnlos geworden. Und genau in dieser Lebensperspektive stehen die Vorbilder, die der Kirche als „Heilige“ gelten, deren Fest am 1. November begangen wird. Die Gründer des Unitas-Verbandes machten diese „grundkatholische“ Haltung vor gut 175 Jahren zum Fundament ihrer Gemeinschaft.

In unitate: Dauerhafte Gemeinschaft
Sie wählten Verbandspatrone zu Vorbildern ihres Lebensbundes, machten die Eucharistie, die Begegnung mit dem „Allerheiligsten“ und die Messe mit dem Gedenken an die Toten und in Christus Vollendeten zum Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft. Die Verbandsmesse der jährlichen Generalversammlung ist der Ort, an dem aller Verstorbenen namentlich gedacht wird und ihr Lebenszeugnis wird im Alltag der Ortsvereine durch alle Zeiten in vielfacher Weise gewürdigt und erinnert. Fahne und Mitglieder sind vertreten, wenn es zum „letzten Gang“ geht, Nachrufe zeugen von der freundschaftlichen Verbundenheit unter Brüdern und Schwestern der unitarischen Familie über den Tod hinaus. Die Gegenwart der Vorgänger ist allenthalben spürbar, konkrete Spuren ihres Wirkens sind an vielen Stellen präsent, die Erzählgemeinschaft hält ihre memoria lebendig.
Dies und vieles mehr zeugt von einer dauerhaften Einübung in eine grundsätzliche Lebenshaltung und einen Habitus, mit dem Lebende und Verstorbene in durchgehender Tradition einer „Unitas perennis“ eine Gemeinschaft bilden, die „semper in unitate“ gemeinsam der Vollendung entgegengeht. Und damit ist sie möglicherweise schon dadurch Grund und Ausdruck echter und oft sogar übergroß zelebrierter Lebensbejahung, Lebenslust und Lebensfreude.
Zur Heiligkeit berufen
Nicht jeder – auch in der Unitas - wird ein „Heiliger“, aber bleibt dazu berufen. Ein großes Wort - aber man darf in aller gebotenen Bescheidenheit sagen dürfen, dass man nah dran bleiben kann. In der Nähe dessen, auf den alles Heil zurückgeht, sogar wirklich heiligmäßiger Vorbilder, die auf den „Heiland“ vertrauten – angefangen von den Verbandspatronen bis zu allen, die in ihrer Nachfolge in der Zuversicht des Glaubens ohne Angst ihren Lebensweg vollendet haben. Es sind nicht nur die vielen in den letzten Jahren - auch in jungem Alter - verstorbenen Bundesbrüder, an die in diesen Tagen zu denken ist. Für die Unitas Ruhrania sind es in den kommenden Tagen auch etwa Ehrensenior Bbr. OStR Norbert Klinke, der Vater der neuen Ruhrania, dessen Todestag sich am 4. November zum 25. Mal jährt, zudem der 10. Todestag von Bbr. Dr. Baldur Hermans am Sonntag, 16. November, an die man sich in diesem Semester besonders dankbar erinnern wird.

„Was mich erwartet, ist Freude und Glück“
Nicht zuletzt sind es vor allem in diesen Tagen die von der Kirche ganz öffentlich seliggesprochenen Bundesbrüder, die sich als „Lübecker Märtyrer“ dem furchterregenden Todeskult der Nazis widersetzt haben, ihrem Wahn von Rasse, der anmaßenden messianischen Erlösungspropaganda und der seelenlos organisierten Niedertracht, deren böse Geister bis heute zucken und bleischwer auf unseren Schultern hocken. Am 10. November jährt sich zum 82. Mal der Todestag der Kapläne Bbr. Johannes Prassek und Bbr. Eduard Müller, die mit Hermann Lange und Pastor Stellbrink mit ihrem klaren „Ich widersage!" 1943 unter dem Fallbeil ihr Lebensschicksal besiegelten. Sie bleiben Vorbilder, weil sie den Dämonen ihrer Zeit widerstanden - lebendige Vorbilder, weil ihr Beispiel nicht vergessen ist. Das dokumentieren ihre erst 2004 im Berliner Bundesarchiv wieder aufgefundenen Abschiedsbriefe vom 10.11.1943. Kaplan Johannes Prassek schrieb an seine Familie:
„… Heute Abend ist es nun so weit, daß ich sterben darf. Ich freue mich so, ich kann es Euch nicht sagen, wie sehr. Gott ist so gut, daß er mich noch einige schöne Jahre als Priester hat arbeiten lassen. Und dieses Ende, so mit vollem Bewußtsein und in ruhiger Vorbereitung darauf sterben dürfen, ist das Schönste von allem. Worum ich Euch um alles in der Welt bitte, ist dieses: Seid nicht traurig! Was mich erwartet, ist Freude und Glück, gegen das alles Glück hier auf der Erde nichts gilt. Darum dürft auch Ihr Euch freuen (…).“
Bbr. Eduard Müller schrieb an seine Schwester: „… In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet. Der Herr über Leben und Tod, Christus, mein König, holt mich heim zu sich. Die letzten Zeilen von dieser Erde sollst Du haben (…).“ An seinen Bischof Wilhelm Berning wandte er sich mit den Worten: „… Von ganzem Herzen danke ich Ihnen zunächst für das größte Geschenk, das Sie mir als Nachfolger der Apostel gegeben haben, als Sie mir die Hände aufgelegt und mich zum Priester Gottes weihten. Haben Sie Dank für dieses große, heilige Geschenk. (…) Und nun wollen wir den – der menschl. Natur nach – schweren Weg gehen, der uns hinführen soll zu Ihm, dem wir als Priester gedient haben (…).“
Mehr zu den genannten Personen und den Lübecker Märtyrer auf: Homepage Unitas Ruhrania, Persönlichkeiten

Bbr. Kaplan Johannes Prassek (Unitas Ruhrania, *13.08.1911, + 10.11.1943, Bild oben) wurde am 10. November 1943 mit Bbr. Kaplan Eduard Müller (Unitas Ruhrania, Bild unten), Kaplan Hermann Lange und Pastor Karl-Friedrich Stellbrink von den Nationalsozialisten im Untersuchungsgefängnis Hamburg hingerichtet. Zum 60. Jahrestag ihrer Hinrichtung begann der Seligsprechungsprozess für die „Lübecker Kapläne“. Ihre Seligsprechung fand im Vorortsjahr der Unitas Ruhrania 2011/12 am 25. Juni 2011 vor der Herz-Jesu-Kirche in Lübeck statt. Bei dem feierlichen Akt wurde auch des protestantischen Geistlichen Karl Friedrich Stellbrink ehrend gedacht.

Nachrichten aus Lübeck in diesen Tagen
Jahrestag der Ermordung der Lübecker Märtyrer: Bis zum 10. November finden viele Veranstaltungen und Gottesdienste rund um den Jahrestag der Ermordung der Lübecker Märtyrer statt. Ausführliche Informationen zu diesen Veranstaltungen und zu den Lübecker Märtyrern sind auf der Internetseite www.luebeckermaertyrer.de zu finden.
Veranstaltungsreihe: Lübeck erinnert an Kolonialismus und Verfolgung: Mit der Veranstaltungsreihe „Zeit des Erinnerns“ erinnert die Hansestadt Lübeck im November und Dezember an die Opfer von Gewalt und Verfolgung im 20. Jahrhundert. In mehr als 40 Konzerten, Vorträgen und geführten Stadtrundgängen soll nach Angaben der Stadt das große Engagement in der Erinnerungskultur in Lübeck sichtbar gemacht werden. In: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 31.10.2025
Stadtrundgang auf den Spuren der Lübecker Märtyrer: Ein zweistündiger Rundgang „Auf den Spuren der Lübecker Märtyrer“ führt vom ehemaligen Gefängnis im Burgkloster bis zur Gedenkstätte Lübecker Märtyrer. Jochen Proske, Leiter der Gedenkstätte Lübecker Märtyrer, nimmt die Teilnehmer mit auf eine Zeitreise in das Lübeck der Jahre 1940–1943. Treffpunkt ist am Samstag, dem 1. November, um 14 Uhr die Dachterrasse des Europäischen Hansemuseums, An der Untertrave 1. In: HL-Live, 1.11.2015
Pontifikalamt zur Todesstunde am Montag, 10. November: 17:00 Uhr Andacht mit Kranzniederlegung am Zeughaus, Parade 12, der Vorsitzende der Possehl-Stiftung, Prof. Dr. Wolfgang Sandberger, spricht das Grußwort, 18:00 Uhr Pontifikalamt zur Todesstunde der Lübecker Märtyrer in der Propsteikirche Herz Jesu, Parade 4. Die Liturgie leitet Erzbischof Dr. Stefan Heße, Domkapitular Dr. Hermann Wieh hält die Predigt. Die Musik im Gottesdienst gestaltet der Propsteichor unter der Leitung von Heiner Arden. Anschließend Beisammensein im Haus der Begegnung. In: Lübecker Märtyrer, 82. Jahrestag der Ermordung, Veranstaltungen
Bericht vom Vortragsabend zum Forschungsprojekt Lübecker Märtyrer: Das Projekt unter Mitwirkung von Jochen Proske, Leiter der Gedenkstätte Lübecker Märtyrer, wurde bis September 2025 fortgeführt. Im Oktober 2025 fand zum Thema „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ ein Expertengespräch in Hamburg und Lübeck statt, der Abschluss des Projektes erfolgt im Winter 2025/2026. In: Lübecker Märtyrer, Bericht vom Vortragsabend
